Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten richtigen Einbruch bei einem Ultratrail: Kilometer 70, ein steiler Anstieg im Nebel, und plötzlich fühlte sich jeder Schritt wie ein Kompromiss an. Die Beine waren müde, das Hirn wollte mir eine Pause verordnen, und die Zweifel schlichen sich ein. Seitdem habe ich viele mentale Strategien gesammelt, ausprobiert und verfeinert, die mir seither immer wieder helfen, solche Tiefs zu überstehen. In diesem Artikel teile ich diese Kopfstrategien mit dir – praxisnah, ehrlich und direkt aus dem Training und vom Rennpfad.
Akzeptanz statt Kampf: der erste Schritt
Wenn der Kopf einbricht, gehe ich erst einmal in den Modus der Akzeptanz. Widerstand kostet Energie und verstärkt die negativen Gedanken. Statt "Warum passiert das jetzt?" sage ich mir nüchtern: "Okay, das ist ein Tief. Es ist normal, es geht vorbei." Diese kleine innere Zustimmung entlastet und schafft Raum für lösungsorientiertes Denken.
Micro-Ziele setzen: Der nächste Schritt zählt
Große Distanzen aufteilen hat mir mental immer sehr geholfen. Anstatt an remaining 50 km zu denken, fokussiere ich mich auf das Nächste: der nächste Verpflegungspunkt, der nächste Baum, die nächste 15 Minuten. Konkrete Micro-Ziele sind:
Diese Technik reduziert die mentale Last und schafft regelmäßig kleine Erfolgserlebnisse.
Atmung und Körperwahrnehmung: zurück in den Körper
Wenn Panik oder lähmende Erschöpfung kommen, hilft mir bewusstes Atmen. Ich nutze eine einfache Atemtechnik: 4 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen. Das beruhigt den Parasympathikus, senkt die Herzfrequenz und bringt Klarheit. Parallel scanne ich meinen Körper: Wo ist die Spannung? Kann ich Schultern und Kiefer bewusst entspannen? Oft reicht schon das, um wieder effizienter zu laufen.
Mantras und positive Selbstgespräche
Ein paar kurze, klare Sätze begleiten mich durch schwierige Passagen. Diese Mantras sind keine hohlen Floskeln, sondern energiereiche Erinnerungen an das, was ich kann. Beispiele, die ich selbst nutze:
Mantras lieber kurz und persönlich halten — sie sollen wie ein innerer Coach wirken, nicht wie ein Vortrag.
Kognitive Umdeutung: Reframing
Wenn ich anfange, das Tief als Scheitern zu interpretieren, versuche ich bewusst umzudeuten. Aus "Ich bin am Ende" wird "Mein Körper arbeitet gerade hart, das ist ein Zeichen, dass ich alles gebe." Diese Reframing-Technik reduziert die Angst und fördert die Motivation. Sie ist ein mächtiges Werkzeug, weil sie Gedanken nicht unterdrückt, sondern neu bewertet.
Sensorische Anker nutzen
Sinneseindrücke können uns aus Grübeleien reißen. Ich habe ein paar Anker, die ich bei Bedarf einsetze:
Solche Reize sind praktisch, weil sie kurzfristig die Aufmerksamkeit umlenken und den Geist stabilisieren.
Rituale und Routinen
Kleine Rituale geben mir Struktur und Sicherheit, besonders wenn Müdigkeit die Entscheidungsfähigkeit reduziert. Beispiele:
Routinen sind wie eine Gewohnheitsbrücke — sie funktionieren auch, wenn der Kopf müde ist.
Refueling und Körper-Check: das Gehirn braucht Treibstoff
Mentale Einbrüche hängen oft mit schlechter Ernährung oder Dehydrierung zusammen. Ich prüfe regelmäßig:
Wenn die Energie niedrig ist, greife ich zu leicht verdaulichen Kohlenhydraten (z. B. GU Energy Gels, Maurten oder getrocknete Bananen) und einem salzigen Snack. Oft macht das den Unterschied zwischen weiterkommen und im Sog der Zweifel steckenbleiben.
Visualisierung: Den nächsten Abschnitt vorwegnehmen
Kurze Visualisierungen helfen mir, den nächsten Kilometern Sinn zu geben. Ich stelle mir vor, wie ich technisch sauber über den nächsten Steg laufe, wie ich die Station erreiche, wie ich meinen Puls kontrolliere. Diese Bilder sind nicht übertrieben, sondern realistisch und lösungsorientiert.
Soziale Strategien: Mit anderen laufen oder reden
Ein kurzer Austausch mit anderen Läufern kann Wunder wirken. Ein nettes Wort, ein Lachen oder einfach die Gesellschaft lenkt ab und gibt Energie. Wenn ich einen Pacemaker oder Crew habe, sage ich klar, was ich brauche: einen Motivationsschub, Ablenkung oder einfach Stille. Gute Unterstützung ist oft praktischer als Ratschläge.
Akzeptiere das Gehen: taktische Demut
Manchmal ist Gehen die beste Option — nicht als Aufgabe, sondern als Taktik. Ich gehe bewusst bei langen Anstiegen oder wenn die Technik leiden würde, um Energie zu sparen. Diese taktische Demut bewahrt den Kopf: Ich führe Entscheidungen herbei, die längerfristig Sinn machen.
Mentaltraining «außerhalb» des Rennens
Mentale Stärke wächst durch regelmäßiges Training: Simulationseinheiten, lange Läufe mit Müdigkeit, Atemübungen und Meditation. Ich arbeite auch mit mentalen Tools wie Achtsamkeitsübungen und geführten Visualisierungen. Je öfter du solche Situationen im Training bewusst provozierst, desto weniger überraschend sind sie im Wettkampf.
Strategien bei chronischen Gedankenkarussellen
Wenn Grübeln über Fehler oder Sorgen dominiert, hilft mir eine «Gedankenbox»: Ich erlaube mir bewusst 2 Minuten, die Sorgen zu durchdenken, und packe sie dann mental in eine Box, die ich wegschiebe. Klingt simpel — und es wirkt. Alternativ schreibe ich in ein kleines Notizbuch: Problem, Lösungsschritt 1. Das hilft mir, den Kopf zu entlasten.
Checkliste für akute Einbrüche
| Sofortmaßnahmen | Praktische Umsetzung |
| Akzeptanz | Stopp. Gedanken anerkennen: "Das ist ein Tief." |
| Micro-Ziel | Nächstes Verpflegungspunkt/Zeitfenster 10–15 min |
| Atemtechnik | 4s Einatmen, 6s Ausatmen, 5–10 Wiederholungen |
| Ernährung | 30–60 g Kohlenhydrate, salziger Snack, 200–300 ml Flüssigkeit |
| Sensorischer Anker | Kaltes Wasser, Duft, Musik |
| Ritual | Kurzer Sitzstopp, Flasche auffüllen, Mantra |
Diese Strategien sind keine Garantie, aber sie geben ein Werkzeugset, mit dem ich my mentalen Einbrüche systematisch angehe. Vieles ist Übungssache: Je öfter du die Techniken im Training einsetzt, desto schneller funktionieren sie im Ernstfall. Und denk dran: Einbruch bedeutet nicht Schwäche — er ist Teil des Spiels. Mit kleinen, gezielten Schritten komme ich immer wieder zurück auf den Weg.